Giuseppe Verdis Frühwerk Luisa Miller nach Schillers Kabale und Liebe beginnt am Gärtnerplatztheater in jeder Hinsicht betulich, endet aber vor dem Eisernen Vorhang als schonungslos entblößtes, packendes Musikdrama.
Von Klaus Kalchschmid
Manchmal entwickelt sich ein szenisch vor sich hindümpelnder Abend, den man ansonsten nur wegen der exzellenten Sängerinnen und Sänger aushält, nach der Pause zu einem unter die Haut gehenden Musiktheater-Ereignis. So geschehen in der dritten Vorstellung der neuen Luisa Miller im Münchner Gärtnerplatztheater. Denn am Anfang häufen sich Fragen über Fragen: Was bitte transportiert dieses bühnenhohe gemalte Porträt einer jungen Frau mit hochgeschlossenem weißen Kleid, also die von ihrem Bruder Fernand 1887 gemalte Marguerite Khnopff, zu der er angeblich eine leidenschaftliche intime Beziehung unterhielt? Es erscheint gleich in mehrfacher Ausführung auf riesigen beweglichen Stellwänden, gerne auch auf dem Kopf oder als Spiegelung des Drehbühnen-Bodens an der Decke (Bühne und Kostüme: Herbert Schäfer, Asilis Triantafillopoulos). Was hat dieses symbolistische Gemälde mit Luisa zu tun? Und warum führt der Regisseur ein Geschwisterpaar im Kindesalter ein, wenn nicht wirklich klar wird, warum, und auch nicht, weshalb die beiden später immer wieder auf der Bühne herumgeistern. Und warum tauscht der Chor, teils in Uniform, (enorm präzise wie voller Leuchtkraft: der Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz), artig Blümchen, die der Tenor schließlich einsammelt und seinem Sopran überreicht? Sieht so Idylle aus? Manchmal wundert man sich, was gestandenen (Opern-)Regisseuren, die wie Torsten Fischer ihr Handwerk beherrschen und etwa in München eine ebenso strenge wie schlüssige Aida für das Gärtnerplatztheater inszeniert haben, so alles einfällt.
So schleppt sich das Drama etwas zäh dahin, das 1784 auf der Theaterbühne in Frankfurt Furore machte – als „Bürgerliches Trauerspiel“, in dem der 25-jährige Autor den Adel kritisch zeichnete und das 100 Jahre später zu Verdis zweiter Schiller-Oper wurde (nach Giovanna d’Arco und vor Don Carlos/Don Carlo) und neben Macbeth zu seinen frühen Meisterwerken zählt. Selbst das Brio, das Anthony Bramall dem Orchester immer wieder entlockt, besitzt noch nicht jene elastische Spann- und Leuchtkraft wie später in der letzten Stunde, als würde der Mehltau der Szene ein wenig auch in den Graben hinunterreichen.
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