An der Deutschen Oper Berlin entwickelt Alessandro De Marchi einen eindrucksvollen Klangraum für Bachs Matthäus-Passion, die szenische Deutung bleibt dürftig.
Von Andreas Berger
Es ist ein Klangereignis erster Güte. Alessandro De Marchi hat für die szenische Aufführung der Bach’schen Matthäus-Passion an der Deutschen Oper Berlin das Orchester kreuzförmig im Raum verteilt, zu Seiten der Spielfläche, aber auch im zweiten Rang und auf der Zuschauertribüne, die auf der Bühne den üblichen Zuschauerraum spiegelt. Quasi in der Vierung dieses Kreuzes spielt der Kinderchor der Deutschen Oper die Passionsszenen nach. Der Opernchor ist, wie von Bach gefordert, zweigeteilt für Rede und Gegenrede, steht sich auf den Emporen gegenüber, während im Zuschauerraum Mitglieder weiterer Berliner Chöre verteilt sind und immer dann einstimmen, wenn Bach Gemeindechoräle zitiert. Mit den bekannten Paul-Gerhardt-Chorälen aus „O Haupt voll Blut und Wunden“ holt Bach die Gläubigen mitten ins Geschehen, die Matthäus-Passion wurde ursprünglich im Rahmen eines Gottesdienstes aufgeführt.
In Berlin hieß es jetzt auf den Texttafeln: „Die Gemeinde singt mit“, aber so weit gingen nur wenige Zuschauende, dazu hätte dann vorher doch offensiver aufgerufen werden müssen. Trotzdem erzeugten aber schon die versprengten Choristen im Publikum zusammen mit den Chören auf den Emporen des Zuschauerraums eine klingende Gemeinschaft, die das Publikum umhüllte. Eine Gemeinschaft der Schuldigen, die – damals wie heute und immer – nie rechtzeitig eingreifen, um Unrecht und Gewalt zu verhindern. Eine Gemeinschaft der in Hilflosigkeit Mitfühlenden und Trauernden. Eine Gemeinschaft der Hoffenden, die es so gern besser machen möchten und sich aus dem Dilemma besseren Wissens, aber stets ungenügenden Handelns ein Gewissen machen. Aktuelle Beispiele kennt jeder aus dem Alltag oder der Weltpolitik.
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