Jonas Kaufmann gab an der Wiener Staatsoper sein Debüt als Peter Grimes: eine Attraktion, aber eine neue Paraderolle hat er dabei nicht gefunden.
Von Christoph Irrgeher (der Autor ist Redakteur der Wiener Zeitung)
Er kam spät nach Wien, aber mit gehörigem Aufwand: 1996 ließ die Staatsoper erstmals den Vorhang für Peter Grimes hochgehen und adelte den damals schon 50-jährigen Bühnenerfolg Benjamin Brittens mit einer Luxusbesetzung: Neil Shicoff war als Protagonist gebucht, Mstislaw Rostropowitsch für die Orchesterleitung und Christine Mielitz für die Inszenierung. Eine explosive Mischung, wie sich herausstellen sollte. Denn der russische Britten-Bewunderer und der deutsche Regiekopf gerieten während der Probenarbeit in Zank und Hader über jene Fischerfigur, die bei tödlichen Unfällen zwei Lehrjungen verliert und in den Suizid getrieben wird. Der Stein des Anstoßes: Mielitz dachte nicht daran, das Außenseiterdrama in einem Küstendorf anzusiedeln. Weder Netze, Boote noch Stege auf ihrer Bühne. Peter Grimes treibt in ihrer Lesart in einem stilisierten Umfeld auf seinen feuchten Untergang zu. Das Premierenpublikum spendete damals gleichwohl Applaus: Peter Grimes wurde von der hiesigen Operngemeinde „lautstark gefeiert“, hieß es seinerzeit in einer Kritik.
Der Abend sollte allerdings nicht den Beginn einer wunderbaren Freundschaft mit dem Publikum markieren. Die Frequenz, mit der Peter Grimes in den Vorjahren an der Wiener Staatsoper auf- und abtauchte, erinnert in ihrer Dürftigkeit an den Besucherrhythmus eines anderen Opern-Seemanns, nämlich des fliegenden Holländers. Der darf bekanntlich nur alle sieben Jahre unter Menschen, und ähnlich selten setzt die Staatsoper Serien ihres Peter Grimes in der Mielitz-Regie an. Ende Januar stand diese Produktion nun wieder auf der Bühne – und Überraschung: Sie erfreut sich trotz enervierender Corona-Kontrollen rasenden Zuspruchs. Das lag wohl weniger an den nervenzerfetzenden Knackpunkten von Brittens Opernthriller und seiner raffinierten Polytonalität, sondern an einem Besetzungscoup: Jonas Kaufmann schlüpfte zum weltweit ersten Mal in die raue Haut des Grimes und fand dabei im Bassbariton Bryn Terfel (Balstrode) prominente Gesellschaft.
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