Seit der Uraufführung vor 122 Jahren wurde Puccinis Tosca meist wie eine pittoreske Ansichtskarte aus Rom inszeniert. Barrie Kosky hat in Amsterdam allen Romkitsch entfernt, um das politische Drama freizulegen. Der Beginn einer Puccini-Trilogie mit dem Chefdirigenten Lorenzo Viotti.
Von Uwe Friedrich
Die Bühne ist schwarz und leer. Kein Kirchenschiff, keine Seitenkapelle, nicht mal ein Altar mit dem unvollendeten Bild, an dem der Maler Cavaradossi rumpinseln könnte. Staffelei, Bilderrahmen und Malutensilien werden später in den weiten Raum getragen, aber zunächst durchbricht der geflohene Aufrührer Angelotti spektakulär den Bühnenboden, stolpert heftig atmend und röchelnd nach vorne. Der Regisseur Barrie Kosky liebt solche histrionischen Effekte, Atemgeräusche, Stöhnen und Röcheln sollen die Exaltiertheit des Personals zeigen, aber Kosky bekommt diese Effektverliebtheit im weiteren Verlauf des Abends in den Griff. Detailversessen lässt er den Mesner die Scherben des durchbrochenen Bühnenbodens wegkehren, in gewohnt genrehafter Weise darf er gestikulieren über die Zumutungen seines Daseins, während er Cavaradossis Staffelei hereinschleppt.
Wie virtuos Kosky die leere Bühne zu nutzen weiß, zeigt sich in der ausgedehnten Szene zwischen der exaltierten Operndiva Tosca und Cavaradossi. Annäherung und Eifersuchtsattacken wechseln einander ab, die ausgedehnten Liebesschwüre und Schimpftiraden zeigen Cavaradossis Langmut ebenso wie Toscas Unberechenbarkeit und Egozentrik. Scarpia dringt als durch und durch eleganter Machthaber im grauen Maßanzug ein, der das Einschüchtern, Prügeln und Foltern kühl seinen Häschern überlässt. Für das Te Deum zum Aktfinale öffnet sich die schwarze Rückwand, und in den abstrakten Raum fährt von hinten ein monumentales Altargemälde, wie von Rubens oder Tintoretto gemalt. Schwer auszumachen, ob es sich um eine Himmelfahrt oder einen Höllensturz handelt, aber die Wirkung ist in jeder Hinsicht überwältigend, wenn das über- und durcheinanderpurzelnde Menschengetümmel zunächst flüsternd, dann immer lauter singt, denn im Triptychon stecken die Chorsänger und geben dem am Boden kriechenden Scarpia Instruktionen.
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