Der Regisseur Martin Kušej will dem Puccini-Klassiker im Theater an der Wien das wohlige Pathos austreiben, begräbt Tosca dabei aber unter grobschlächtigen Schockbildern.
Von Christoph Irrgeher (Redakteur der Wiener Zeitung)
Um Regietheater zu betreiben, braucht es mitunter keinen Regisseur, ja nicht einmal eine Premiere. In Wien weiß man das spätestens seit jenem Tosca-Abend mit Montserrat Caballé, der sich 1982 in der schon damals in die Jahre gekommenen Margarethe-Wallmann-Inszenierung zutrug. Der Inspizient hatte vergessen, einige Statisten auf die Bühne zu bitten, und so glänzte das Erschießungskommando, das Mario Cavaradossi ins Jenseits hätte befördern sollen, durch Abwesenheit. Was tun? Nach kurzer Beratung vor den Augen des Publikums verzog sich Cavaradossi schließlich auf eigenen Beinen von der Bühne. Ein beherzter Statist sorgte jedoch für weiteres Ungemach: Er hatte das Soldatenmanko bemerkt und eilte spornstreichs als Ersatzschütze herbei. Nur leider: Weil sein Zielobjekt mittlerweile verschwunden war, zog auch er bald wieder, angeblich schulterzuckend, von dannen. Das Staatsopernpublikum, so erzählt man sich bis heute, bog sich vor Lachen.
Unfreiwillige Pointen setzt es nun auch in der neuen Tosca des Theaters an der Wien – hier allerdings im Rahmen einer brandneuen Produktion. Regisseur und Burgtheaterdirektor Martin Kušej ist mit der Mission angetreten, dem Puccini-Klassiker das wohlige Pathos auszutreiben, und hatte im Dirigenten Ingo Metzmacher einen interessierten Partner gefunden. Doch beide erreichen ihr Ziel nicht: Metzmacher, weil ihn eine Erkrankung kurz vor der Premiere ins Bett zwang, Kušej, weil seine Bilder allzu platt gerieten – und ähnliche Lachreflexe auslösen wie jene Sorte Horrorfilm, der knöcheltief im Kunstblut watet.
Jetzt weiterlesen!
Dies ist Premiummaterial. Testen Sie unsere Angebote, um den gesamten Artikel zu lesen.
Abonnieren
Das aktuelle gedruckte Heft jetzt bestellen oder komplett online lesen!Jetzt mit wenigen Klicks zum OPER!-Inhalt
Ausprobieren
Zwei ausgewählte Artikel kostenlos lesen? Dann registrieren Sie sich hier!In dieser Ausgabe kostenlos: