Mit Siegfried ist Stefan Herheims Ring an der Deutschen Oper Berlin abgeschlossen: eine vielschichtige Inszenierung, deren formale Ansprüche das Publikum noch lange beschäftigen dürften.
Von Jesper Klein
Der neue Ring des Nibelungen, den Stefan Herheim für die Deutsche Oper Berlin inszeniert hat, ist eine komplizierte Sache. Mit der Premiere des Siegfried am 12. November innerhalb der ersten zyklischen Ring-Aufführung ist er nun fertiggestellt. Die chaotische Premierenfolge vom zweiten über den ersten und vierten bis zum dritten Teil ist der Pandemie geschuldet, aber vielleicht war auch eine Art höherer Deutungsintelligenz am Werk. Wagners Idee des großen Ganzen, wie sie Götz Friedrichs legendäre Inszenierung am gleichen Haus vor bald 40 Jahren durch das Einheitsbühnenbild seines Zeit- und Abwassertunnels repräsentierte, ist längst einem Bewusstsein für die Brüchigkeit von Wagners Mythenanstrengung gewichen: In Stuttgart und Chemnitz ist der Ring von vier Regisseuren und Regisseurinnen inszeniert worden, und die Regisseurin Johanna Dombois möchte diese Arbeitsteilung sogar auf jede Szene anwenden. Die zufällig verdrehte Reihenfolge wäre die nächste Konsequenz im Auflösen der Zusammenhänge hin zu einer genaueren Betrachtung der einzelnen Bestandteile. Herheims Inszenierung liegt dank ihrer formalen Mehrschichtigkeit voll in diesem Trend.
Keinen Hehl macht der Regisseur daraus, dass ihm zu Mime mehr einfällt als zu Brünnhilde: Mime tritt als Wagner auf mit Barett und Knebelbart und ist in ein blaugestreiftes KZ-Hemd gewandet. Brünnhilde dagegen erscheint in dieser Inszenierung als Zitat historischer Darstellungen mit Flügelhelm, metallener Brünne und blonden Locken. Der Titelfigur des Siegfried geht es nicht anders. Clay Hilley erinnert bereits in der Statur an die Heldentenöre zu Wagners Zeiten, und so kleidet Herheim ihn auch ein: in ein einfaches weißes und geschnürtes Gewand, zur Seite ein Horn, an dem er erregt herumfingert, wenn ihm Mime etwas über das Fürchten erzählt. Es ist egal, wenn hier die Pointe vorweggenommen wird, dass für Siegfried Furcht und Eros zusammenhängen, dass er erst angesichts der schlafenden Brünnhilde das Fürchten lernt – die Götterdämmerung hat ja, der Premierenfolge sei Dank, auch schon stattgefunden…
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