In Duisburg stellt Regisseur Vasily Barkhatov in seiner Inszenierung des Fliegenden Holländers die Frage nach der Stellung der Romantik in unserer Gegenwart.
Von Christoph Schulte im Walde
Theater im Theater? Nicht ganz! Es ist ein kleiner Kinosaal, in dem Richard Wagners Fliegender Holländer startet. Das (reale) Premierenpublikum nimmt im Duisburger Theatersaal Platz, während die Darsteller der Kinobesucher erwartungsvoll gestimmt auf der Opernbühne eintrudeln. Was gibt‘s zu sehen? Den Fliegenden Holländer, einen alten Schwarz-Weiß-Film, der etwas kantig über die Leinwand flimmert. In der ersten Reihe sitzt Senta, acht, neun Jahre alt und blickt ganz fasziniert auf den stattlichen Seewanderer im dicken Pelzmantel. Sein zotteliger, mit Schnee besetzter Bart verleiht ihm einen ebenso verwegenen wie liebenswürdigen Ausdruck. Ein Kerl, in den die kindliche Senta sich sofort verguckt. Fortan wird dieser Film für sie zum Dauerbrenner, der sie jahrelang begleitet, den sie immer wieder anschaut. Eine Welt jenseits ihres realen Lebens entsteht und weckt Sehnsüchte. Jahre später als junge Frau weiß Senta: Sie ist es, die den Holländer erlösen muss.
Senta steht deshalb ganz im Mittelpunkt der Duisburger Inszenierung, für die Vasily Barkhatov verantwortlich zeichnet. Der Regisseur, 1983 in Moskau geboren, fokussiert seinen Blick ganz auf Sentas Mission, die in dem Moment handlungsbestimmend wird, in dem der Holländer sein Geisterschiff verlässt und leibhaftig in Sentas Leben tritt. In dem Augenblick nämlich, wenn die Leinwand dunkel wird und die schäbige Realität in ihre Welt schwappt: Vater Daland hat den Schauspieler des Holländer engagiert, um die Tochter von ihrer durch den Film ausgelösten „Besessenheit“ zu heilen. Folgerichtig platzt die Seifenblase, und wir befinden uns in einer lärmenden Stadt, in der smartphonefixierte Mütter ihren Nachwuchs auf Spielplätzen hüten und vor einer Döner-Bude Fast Food verzehrt wird. Mittendrin eine Horde von Fußballfans mit rot-weißen Schals und lustigen Wikingerhörnern auf dem Kopf. Lärmend verfolgen sie ein Spiel beim Public Viewing.
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