Im neuen Fliegenden Holländer der Oper Köln sind François-Xavier Roth und das Gürzenich-Orchester die Stars.
Von Roland H. Dippel
Ein osteuropäisches Land in den ersten Jahren nach Perestroika ist derzeit die beliebte Schauplatz-Idee für Werke wie Jenůfa und Katja Kabanowa. Jetzt dachte sich der Barockmusiker und Regisseur Benjamin Lazar für seine Inszenierung im Kölner Staatenhaus, auf Wagners Fliegenden Holländer passe das mindestens ebenso gut. Auch hier geht es um weibliches Aufbegehren gegen wirtschaftliche und soziale Rollenzwänge. Bei Lazar kehrt Senta nach mehreren Jahrzehnten zurück in ihren Heimatort und erinnert sich an ihre erste große, wenn auch nicht todbringende Liebe: Wagners zentrale Handlungsidee – Sentas Selbstmordsprung für den über die Meere ziehenden Holländer-Geist, damit dieser endlich erlöst wird und sterben darf – war für Lazar nicht von Bedeutung. Dafür eröffnet der Holländer der ihn sehr aktiv begehrenden Senta einen Weg zur inneren Freiheit, während die Siedlungs- und Matrosengemeinschaft in die Masleniza (Butterwoche zum Ende des Winters) hineinfeiert. Am Höhepunkt dieses ursprünglich heidnischen Fests wird eine weiblich modellierte Strohpuppe verbrannt. Ein weiteres Ideenelement Lazars für Wagners fanatisch opferbereite Senta war eine von ihm zitierte wahre Begebenheit: „Eine Frau in Russland verlässt ihren Freund, um einen Mörder im Gefängnis zu heiraten, weil ihr sein Gesicht in einem Traum erschienen ist.“
Ohne erläuternde Hilfestellung wurde dies allerdings nicht deutlich. Wirkungsvoll gerieten Adeline Caron die realitätsnahen Kostüme der Frauen wie der gewohnt expressiven Dalia Schaechter als Mary. Der von Caron zwischen zwei Container-Gruppen gelegte breite Laufsteg vor dem Orchestergraben und die erhöhte Rampe dahinter hatten für die großen Chorszenen akustische und musikalische Vorteile. In Köln singt die Holländer-Mannschaft nicht, ihr aggressives Geheul wird von der Volksgruppe übernommen. Das rituelle Fest mit seinen eindrucksvollen Haar- und Tiermasken artet zum brutalen Haberfeldtreiben gegen die Fremden aus. Das ist der effektvolle Höhepunkt von Lazars Regie, die bei der Gestaltung der Charaktere ansonsten leider fast durchgängig unverbindlich bleibt. Der Holländer beeindruckt seinen Wunsch-Schwiegervater Daland nicht mit Schätzen und Schmuck, sondern mit schweren Waffen.
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