Jonas Kaufmann singt den Otello als italienische Premiere, zur ambitionierten Saisoneröffnung des zumindest innen renoviert glänzenden Teatro di San Carlo in Neapel. Staatspräsident Sergio Mattarella ist auch da.
Von Manuel Brug
Ein Blick zurück: Der Tenorissimo unserer Zeit in der größten (italienischen) Rolle jemals. Da sind wir also wieder: Was im Juni 2017 mit sechs Otello-Aufführungen unter Antonio Pappano am Royal Opera House Covent Garden in London begann, setzte sich ab November 2018 an der Bayerischen Staatsoper in München mit Kirill Petrenko am Pult als Heimspiel fort. 2020 folgte dann die Studioaufnahme, erneut mit Pappano. Wieder ein Jahr später, pandemieausgeruht, tritt Jonas Kaufmann nun als Otello in der Höhle des italienischen Löwen an, wagt – und gewinnt. Weil er sich inzwischen die Rolle eingerichtet, sich ihr angepasst hat. Noch immer schneidet da kein „Esultate“-Strahl durch die von Michele Mariotti fein aufgewühlten Orchesterwogen, aber ein geschmeidiges Florett reckt die helle Höhenspitze. Die Ausbrüche im zweiten und dritten Akt, die sphärische Verinnerlichung des Liebesduetts, der „ultimo bacio“ im gebrochen tragisch absolvierten Finale ergibt ein stimmiges, gültiges Rollenporträt. Erst scheint es, als ob er diesmal überleben muss, doch am Schluss rammt er sich das Messer in den Bauch.
Selbst in Italien darf Otello inzwischen ein Loser, ein gebrochener Mann sein, der nie Macho war. Natürlich ist dieser „Mohr“ auch in Neapel kein Schwarzer oder Nordafrikaner mehr, jede rassistische oder politische Dimension, die bei Shakespeare im Zeitgeist der Renaissance noch sehr stark ist, bei Verdi/Boito schon abgeschwächt wurde, scheint inzwischen politisch korrekt ausradiert. Dabei ist es völlig egal, ob der Neapolitaner Mario Martone die Handlung in ein ortloses Wüstencamp mit anfänglichem Wallastoffwellen-Meerzugang verlegt. Irgendwo auf der Welt wird immer gekämpft, sind gedrillte Soldaten kaserniert. Hinten gibt es Dünenvideos, vorne sind allzu glatte Lehmbauten (von Margherita Palli) zu sehen. Und davor, immer brav an der Rampe, hat sich der noch mit tarnfarbigen Masken singen müssende, aber trotzdem durchschlagkräftige Chor meist bewegungslos aufgepflanzt. Die großen Tableaux sind so überraschungslos übersichtlich. Ansonsten ist die Bühne nackt und offen, allzu viel Kulissenillusion hat auch hier längst ausgedient.
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