Seit zwei Jahren sorgt die Pandemie für Unsicherheit unter Opernsängern. Vorstellungsabsagen, Gagenausfälle und Planungsunsicherheiten erfordern eine Neubewertung der Ensemblemitgliedschaft. Auch für die Opernhäuser könnte sich die Aufstockung der Ensemblestellen auszahlen, aber es gibt Vor- und Nachteile für beide Seiten.
Von Uwe Friedrich
Als das Staatstheater Schwerin beim letzten Intendantenwechsel über Facebook dazu aufrief, sich für eine Ensemblemitgliedschaft zu bewerben, war die Resonanz überwältigend. 1.200 Sängerinnen und Sänger bewarben sich und schickten ihre Videos. „Die habe ich mir alle angeschaut, das war kein Spaß“, sagt der neue Operndirektor Martin G. Berger. An der Anzahl der Interessenten lässt sich schon ablesen, wie stark der Wunsch nach mehr Sicherheit ist. Ein festes Gehalt, unabhängig von der Zahl stattfindender Aufführungen, wurde auch für sonst gut gebuchte Solisten in den letzten zwei Jahren zum unerreichbaren Luxus. „Selbstverständlich wollen sehr viele Sängerinnen und Sänger in ein festes Berufsverhältnis“, bestätigt auch Winfried Hofinger, der mit seiner Düsseldorfer Agentur (vormals Inge Tennigkeit) sowohl Freiberufler wie Burkhard Fritz und Frank van Aken als auch Ensemblemitglieder wie Dalia Schaechter oder Katerina von Bennigsen vertritt. „Wer im Engagement ist, wird derzeit bestimmt nicht kündigen. Das Risiko ist zu groß, dass der Karriereschritt als Freiberufler wegen der allgemeinen Unsicherheit im Moment doch nicht gelingt. Da hält man lieber an dem fest, was man hat, auch wenn die Konstellation am Haus vielleicht nicht ideal ist.“ Das führt wiederum dazu, dass der Markt der verfügbaren Stellen im Moment noch kleiner ist als zuvor. Die übliche Fluktuation zum Spielzeitende und bei Intendantenwechseln findet derzeit kaum statt. Wenn etwa der designierte Kölner Intendant das gesamte Ensemble automatisch um ein Jahr verlängert, ist das für die Betroffenen erfreulich, bedeutet aber auch, dass Hochschulabsolventen der letzten Jahre keine Chance auf eine Anstellung haben.
In den vergangenen Jahrzehnten haben fast alle Opernhäuser ihre Ensembles verkleinert, vor allem auf Gastengagements gesetzt. Betriebswirtschaftlich gesehen ist das eine einfache Rechnung: Das wirtschaftliche Risiko kann dadurch weitgehend auf den Künstler abgewälzt werden. Bezahlt werden nur jene Aufführungen, bei denen der Sänger tatsächlich auf der Bühne steht. Krankheitsbedingte Ausfälle sind sein Risiko, Vorstellungsausfälle werden zwar zumindest teilweise kompensiert, aber nicht bei „höherer Gewalt“. Während früher in Deutschland auch die Probenzeit bezahlt wurde und die Theater auch die Kosten für die Unterkunft übernahmen, ist es inzwischen üblich, alles in der Abendgage zusammenzufassen, und die fällt wiederum aus, wenn der Sänger nicht auftreten kann. Im schlimmsten Fall hat der Solist dann sechs Wochen auf eigene Kosten geprobt, bezahlt wird aber nur der Einspringer, der die fertige Produktion rettet. Dieses System ist nicht gerecht, sondern lädt das Risiko einseitig ab, das wurde in der Pandemie auch dem striktesten Vertreter marktwirtschaftlicher Thesen deutlich. Die Theaterleitungen haben aber gar kein Interesse daran, diese Verhältnisse zu ändern, denn das würde den Betrieb verteuern, während allgemein Budgetkürzungen erwartet werden. Wer als Sänger nicht auf eine bessere Verteilung der Lasten warten möchte, bemüht sich also um ein Festengagement an einem Theater.
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