Das Spiel mit den Geschlechtern ist so alt wie die Oper selbst. Doch transgender Darsteller und Darstellerinnen sind hier immer noch die Ausnahme. Gegenwärtig schickt sich die aktivistisch laute Minderheit der Transpersonen an, auch in der Oper ihre queere Rolle zu finden und zu spielen.
Von Manuel Brug
„Ich weiß nicht, was ich bin, was ich tue.“ Es ist ein juveniles Durcheinander der Hormone, das den Pagen Cherubino in Mozarts Hochzeit des Figaro in amouröse Abenteuer und geschlechtliche Verwirrung treibt. Zwischen Gräfin, Zofe und Gärtnerstochter kann und mag er sich nicht entscheiden. Er selbst rennt in Frauenkleidern herum, und neuere Inszenierungen lassen auch den Musiklehrer dem knackigen Buben nachstellen. Der freilich, pubertärer Schwerenöter zwischen Kind und Mann, wird von einer Frau gesungen, für gewöhnlich von einer Mezzosopranistin. In einer der populärsten Opern der Welt steckt also eine(r) im falschen Stimmkörper. Doch das Publikum ist mit dieser Konvention bestens vertraut, ohne sich mit Gendertheorie und Transmenschen beschäftigt zu haben.
Was aber bedeutet es, wenn sich heute eine Sängerin oder ein Sänger als Transgender zu erkennen gibt in einem Feld, in dem das Spiel mit den Geschlechtern von jeher zum festen Repertoire gehört? Schon bei Monteverdi geben schließlich zum Gaudium des meist enthusiastischen Publikums Kerle die dauererregten Ammen als urkomische Nebenfiguren – schon in der Antike eine gängige Praxis. Seit diesen Zeiten kennt man den Hermaphroditen, der als mal sehnsuchtsvoll begehrtes, mal geschmähtes Zwitterwesen in Marmor und Bronze überdeutlich festgehalten wurde. Die Renaissance hingegen verbannte diese frisch ausgegrabenen Relikte in geheime Museumskammern, die barocken Päpste wiederum ließen in Rom die Frauen auf der Opernbühne schweigen, delektierten sich dafür am spektakulären Gesang der Kastraten. Deren Faszinosum wurde in unserer dem Androgynen zugewandten Zeit von den Countertenören willig aufgegriffen. Sogar in Frauenkleidern begegnen sie einem inzwischen wieder, wenn auch bisher nur auf der Bühne. Bisher.
„Voi che sapete”, die andere Cherubino-Arie singt gerade der Countertenor Samuel Mariño auf seiner zweite Solo-CD, seinem Debütalbum bei Decca. Die britische Firma unter dem Universal-Dach hatte bereits vor Jahren als erstes Major-Label einen Countertenor verpflichtet: Andreas Scholl. Der freilich, eher gehemmt auf der Bühne, ist hetero, verheiratet, geschieden, hat Kinder. Der 29-jährige Venezolaner Mariño setzt hingegen ganz auf die Stimulanz des Glamourboys: Er ist schwul, nennt sich, wie die CD, „Sopranista“ und posiert nicht nur dort mit Stöckelschuhen und Vivianne-Westwood-Wickelkleidmantel. Auch im echten Leben trägt er, wenn ihm danach ist, Röcke und Perlenketten, schminkt sich und singt in seinen Recitals auch mal Arien aus Bellinis Sonnambula oder Norma. Mariño, der sich bisher weder als nonbinär, metro-, pansexuell oder was auch immer geoutet hat, lebt als biologischer Mann mit Frauenkleidern und singt mit sehr hoher Stimme Frauenarien. Auf der CD zunächst nur solche aus dem Barock, die teilweise – wie gesagt: im päpstlichen Rom durften keine Damen auf die Bühne – von Kastraten im Kleid interpretiert wurden, oder als Männerdarsteller, wie in den Mozart- und Gluck-Opern, die er hier ebenfalls für sich okkupiert.
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