Der neue Ring an der Berliner Staatsoper bringt endlich einmal eine neue Wendung in der seit dem legendären „Chereau-Ring“ von 1976 handelsüblichen, oftmals allzu krampfhaft auf Politisierung versessenen Ikonografie des Werkes. Christian Thielemann dirigiert dazu den Ring seines Lebens.
Von Eleonore Büning
Gleich neben dem Hörsaal liegt das Labor. Der repräsentative Konferenzraum, in rotem Marmor, ist nur durch eine Tür getrennt von Wotans edelholzgetäfeltem Chefbüro. Diese Tür wird später unter einem einzigen Faustschlag von Jung-Siegfried spektakulär zersplittern. Anfangs jedoch atmet alles noch Frieden, Wohlstand, Hoffnung und Zukunft in diesem hochmodernen Hirnforschungsinstitut namens E.S.C.H.E., in dessen lichtdurchflutetem Foyer auch wirklich ein mächtiger alter Baum herumsteht: Yggdrasil, die Weltesche, das Wahrzeichen. Wie sich das Gehirn des Homo sapiens seit prähistorischer Zeit entwickelt hat, wie sich die Hirnströme mehren und verzweigen, das zeigt eingangs ein Promo-Film. Goldene Porträts hängen an der Marmorwand, wohlwollend von oben herab beobachten da die sechs Gründungsväter des prosperierenden Unternehmens das Treiben der next generation. Wir identifizieren: Beethoven, Brahms, eventuell Meyerbeer, links außen, das könnte Wagner sein, rechts außen: evtl. Richard Strauss? Um diese Frage dreht sich, nach Ende des Rheingolds, der erste Streit, den der neue Ring des Nibelungen an der Berliner Staatsoper Unter den Linden provoziert. Einige finden, Meyerbeer sähe aus wie Schubert, andere erblicken in Strauss eher Nietzsche, daneben: Pfitzner. Hans Pfitzner? Nein! Zu pummelig! Außerdem: Was soll der hier?
Das Programmbuch gibt keine Auskunft. Aber Herr Giese weiß Bescheid. Detlev Giese, seit über 20 Jahren als Dramaturg an der Lindenoper tätig, erklärt in seinem wie immer besonnen-soliden Einführungsvortrag zum Siegfried, drei Ring-Abende später, als das E.S.C.H.E.-Institut schon etwas ramponiert und der schnieke Konferenzsaal zur Kantine degradiert worden ist, beiläufig: nicht Musiker, vielmehr Naturwissenschaftler seien hier dargestellt. Von links nach rechts: Albertus Magnus, daneben der Kybernetiker Gregory Bateson, Charles Darwin, Alexander von Humboldt, Gregor Mendel sowie Arktisforscher Jean Baptiste Charcot. Dass gewisse Ähnlichkeiten zufällig sind und keine Absicht, glauben wir dem hobbypsychologischen Tricktaschenspieler Dmitri Tcherniakov, der sowohl Regie führte in dieser Neuinszenierung als auch das Bühnenbild baute, natürlich aufs Wort.
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