Lange Zeit galt das Puccini-Festival in Torre del Lago als künstlerisch uninteressante Touristenfalle, doch seit letztem Jahr sorgt der Komponist Giorgio Battistelli als Künstlerischer Leiter für eine behutsame Modernisierung. In diesem Sommer unter anderem mit La bohème und Turandot.
Von Uwe Friedrich
Ein vollständiges Pariser Haus mitsamt seiner Umgebung hat der Bühnenbildner Luciano Ricceri nachbauen lassen, komplett mit rauchenden Kaminen, Kunstschnee und winterkahlen Bäumen. Chor und Solisten sind nicht zu beneiden, dass sie im italienischen Hochsommer auf der Freilichtbühne am See für Winter- und Weihnachtsgefühle sorgen, von eiskalten Händchen und erlöschendem Feuer singen müssen, während sie in dicken Kostümen schwitzen. Die naturalistische Inszenierung des Filmregisseurs Ettore Scola ist schon etliche Jahre alt, wurde aber von seinem Neffen Marco Scola Di Mambro detailversessen und liebevoll wiederbelebt. Die unbeschwerte Komödie von der lebenslustigen Künstler-WG ohne Geld erstreckt sich über zwei Stockwerke, hektisches Treiben beim Auftauchen des Vermieters sorgt für Heiterkeit auch im Publikum.
Die freundlich-optimistische Stimmung bleibt, wenn Mimì zum ersten Mal auf Rodolfo trifft, auch wenn der Dirigent Enrico Calesso schon hier zeigt, dass er den klangfarbenerzeugten Lichtwechsel mit dem Orchester perfekt beherrscht. Sein Tempo orientiert sich immer am italienischen Sprechtempo, das schon innerhalb eines Satzes sehr variabel sein kann, je nach Inhalt von extrem schnell wie in einem Rossini-Finale bis zu ausgedehnt langsam wie in einem Weihespiel variiert. So bringt er den Konversationston Puccinis beinahe in die Nähe Monteverdis, der schon zu Beginn der italienischen Oper seine Melodien zwischen singendem Sprechen und sprechendem Singen wechseln ließ. Derart einfallsreich, flexibel und doch mit so viel Gespür für die großen dramatischen Bögen hört man Puccini selten, obwohl gerade das der unerlässliche Schlüssel zu einem unsentimentalen und kitschfreien Verständnis der extrem durchkalkulierten Musik ist.
Jetzt weiterlesen!
Dies ist Premiummaterial. Testen Sie unsere Angebote, um den gesamten Artikel zu lesen.
Abonnieren
Das aktuelle gedruckte Heft jetzt bestellen oder komplett online lesen!Jetzt mit wenigen Klicks zum OPER!-Inhalt
Ausprobieren
Zwei ausgewählte Artikel kostenlos lesen? Dann registrieren Sie sich hier!In dieser Ausgabe kostenlos: